RETRO-TestLabor: NIGHT TRAP (SegaCD)

Full Motion Video!

Skandal! Dieses Spiel wurde vor vielen Jahren als dermaßen schrecklich und grausam betrachtet, dass es stellvetretend für jegliche Gewaltdarstellung im Medium Videospiel angeprangert, indiziert und mancherorts sogar verboten wurde und so mitschuld an der Gründung der amerikanischen Altersfreigabe ESRB ist. Puh! Aber stimmt das? Ist “Night Trap” wirklich so menschenverachtend? Und taugt die Nachtfalle spielerisch was?

Anfang der Neunziger wurde in Kalifornien ein neues Studio gegründet, Digital Pictures. Die Gründer wollten etwas Neuartiges produzieren, eine Mischung aus Film und Videospiel. Man arbeitete ursprünglich an einem Projekt, das für eine nie veröffentlichte VHS-Konsole erscheinen sollte. Die unter dem Codenamen “NEMO” entwickelte Kiste sollte Filmschnipsel abspielen, die vom internen Kassettenspieler nach Eingabe des Spielers abgespielt werden sollten. Klingt kompliziert, war es auch. Denn um die verschiedenen optionalen Inhalte abspielen zu können, musste stetig vor und zurückgespult werden. Eine innovative Idee des Digital Pictures Mitbegründer, Tom Zito, die ihrer Zeit allerdings vorraus war. Doch als das komplette Projekt zu scheitern drohte, tauchte Sega mit einem CD-basierten Add-On für das Mega Drive auf. Die Rettung für Digital Pictures und Zito’s Vision.

Nicht ganz Spiel, nicht ganz Film – ein Spielfilm!?!

Das Konzept hinter “Night Trap” ist wie folgt; man spielt einen Hacker, der für eine Spezialeinheit der Army eine Gruppe junger Leute beschützen muss, die in einem Haus einer mehr als merkwürdigen Familie abfeiern. Wir schalten ständig zwischen verschiedenen Überwachungskameras hin und her und sobald wir einen Teenie in Gefahr sehen, der von Statisten mit Strumpfmasken attackiert wird, müssen wir eine der vielen im Haus verteilten Fallen auslösen um eben erwähnte Weirdos zu fangen. Schaffen wir es nicht, zieht man uns den Stecker, wir sehen Rauschen und werden zum Lohn von unserem Vorgesetzten zusammengekackt. Mission gescheitert.

Das Ganze wäre viel einfacher, wenn wir für das Auslösen nicht den richtigen Farbcode bräuchten. Um an diesen zu gelangen, müssen wir den Gesprächen der schrägen Bewohner lauschen und Lientheater in Reinform betrachten. Aber auch die Jugendlichen sind nicht besser, klischeebeladen und föhnfrisiert tanzen sie zu grottiger Achtzigermucke ab, spielen Luftgitarre auf einem Tennisschläger und hüpfen in den beigen Kulissen auf und ab, die wie das Set jeder alten amerikanischen Familiensitcom aussehen. Echt schlimm, aber unfreiwillig spitze.

Das Umschalten der Überwachungsbilder, das Warten, das Betrachten der “Leben der Anderen” und das rechtzeitige Benutzen der Fallen macht aber überraschenderweise irgendwie Bock. “Night Trap” ist eizigartig und macht seinen (bescheidenen) Job ganz gut. Die klobig digitalisierten Videos, voller grober Artefakte schrecken im ersten Moment zwar etwas ab, aber der Rest funktioniert zweckmäßig. Das ganze war ein Versuch zu einer Zeit, als man noch nicht so recht wusste, was man mit dem Medium CD in Sachen Interaktivität so anstellen wollte. Ein Genre, dass sich langfristig nicht durchgesetzt hat, aber eine interessante Fußnote der Videospielgeschichte ist.

Diverese US-Senatoren waren damals zwar weniger begeistert, fanden die dargestellte Gewalt derart drastisch, dass sie Sega-Leute vor den Senat zitierten. Viele Branchenvertreter rechtfertigten sich und am Ende einigte man sich auf eine empfohlene Altersempfehlung auf den Spielepackungen. Was heute eher lächerlich wirkt, da die betroffenen Szenen im Spiel nach heutigen (und ehrlicherweise auch damaligen) Maßstäben eher bieder und wenig drastisch wirken. Mittlerweile ist jede Scripted Reality Scheiße auf RTL brutaler als dieses kleine Machwerk. Man wollte einen Sündenbock und Prügelknaben, den man fürs eigene Versagen verantwortlich machen konnte und da “Counter Strike” noch nicht in Sicht war, hatte Sega hier die Arschkarte zugesteckt bekommen. Einer ist eben immer der Dumme…

Sturm beiseite, taugt es was?

Wenn ihr die Möglichkeit habt, ein Mega CD besitzt oder irgendwie einen Emulator auftun könnt, dann kniet euch mal für ein halbes Stündchen in dieses bizarre Stück Gaminggeschichte rein. Ein gut spielbares, steifes Erlebnis, das zwar stark gealtert ist, aber immer noch interessant genug ist und einen ganz speziellen Charme versprüht. Allerdings einen grob pixeligen. Und als Bonus gibt es HIER einen kleinen Nachruf auf das Genre der FMV-Spiele.

LOGOS - Überschriften - RetroFazit

Die Kontroverse hat sich gelegt und übrig bleibt
ein interessantes, schräges Film/Spiel mit mäßiger Technik.

Nur am Rande: Die 3DO-Version sieht etwas ansehnlicher aus, spielt sich aber genauso.